004 - Die Geschichte des verlorenen Kindes by Elena Ferrante

004 - Die Geschichte des verlorenen Kindes by Elena Ferrante

Autor:Elena Ferrante [Ferrante, Elena]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783518777978
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2018-02-04T00:00:00+00:00


77

Lila hatte gekocht. Sie wusste, dass Dede und Elsa Orecchiette al pomodoro liebten, und kündigte sie ihnen mit einer lärmend inszenierten Begeisterung an. Und nicht nur das. Sie nahm mir Imma aus den Armen und kümmerte sich um sie und Tina, als hätte sich ihre Tochter plötzlich verdoppelt. Sie wechselte beiden die Windeln, wusch sie, zog ihnen die gleichen Sachen an, liebkoste sie mit einer außergewöhnlichen Demonstration mütterlicher Fürsorge. Da die Kleinen sich sofort erkannt hatten und zusammen spielten, setzte sie sie zum Krabbeln auf eine alte Decke. Wie unterschiedlich sie waren. Neidisch verglich ich Ninos und meine Tochter mit der von Lila und Enzo. Tina schien mir hübscher und gesünder als Imma zu sein, sie war die süße Frucht einer haltbaren Beziehung.

Unterdessen war Enzo von der Arbeit gekommen, herzlich und wortkarg wie immer. Bei Tisch fragten weder er noch Lila, warum ich keinen Bissen anrührte. Nur Dede schaltete sich ein, als wollte sie mich vor ihren schlechten Gedanken und vor denen der anderen bewahren. Sie sagte: »Meine Mama isst immer wenig, weil sie nicht dick werden will, und ich mache das auch so.« Ich rief drohend: »Du musst deinen Teller bis zur letzten Orecchietta leer essen!« Vielleicht um meine Töchter vor mir zu beschützen, startete Enzo einen komischen Wettbewerb darin, wer am meisten aß und als Erster fertig war. Außerdem antwortete er freundlich auf Dedes viele Fragen nach Rino – meine Tochter hatte gehofft, ihn wenigstens zum Essen zu sehen – und erklärte, dass Gennaro angefangen habe in einer Werkstatt zu arbeiten und den ganzen Tag außer Haus sei. Nach dem Essen nahm er die zwei Schwestern unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit in Gennaros Zimmer, um ihnen alle Schätze zu zeigen, die es dort gab. Wenige Minuten später brach eine wütende Musik los, und sie kamen nicht zurück.

Ich blieb mit Lila allein, erzählte ihr teils sarkastisch, teils traurig alle Einzelheiten. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen. Ich bemerkte, dass mir die Sexszene zwischen der wuchtigen Frau und dem schmalen Nino umso lächerlicher vorkam, je mehr ich das, was mir passiert war, in Worte fasste. »Er ist aufgewacht«, entfuhr es mir irgendwann im Dialekt, »ist im Bad auf Silvana gestoßen, und noch bevor er pinkeln war, hat er ihr den Kittel hochgeschoben und ihn ihr reingesteckt.« Dann brach ich in ein vulgäres Lachen aus, und Lila sah mich mit Unbehagen an. Solche Töne schlug eigentlich sie an, von mir hatte sie die nicht erwartet. »Du musst dich beruhigen«, sagte sie, und da Imma im Nebenzimmer weinte, gingen wir nachschauen.

Meine Tochter, blond und rotgesichtig, weinte mit weit offenem Mund dicke Tränen und streckte mir, sobald sie mich sah, die Arme entgegen, um hochgenommen zu werden. Tina, schwarzhaarig und blass, starrte sie verwirrt an, und als ihre Mutter auftauchte, rührte sie sich nicht, sie rief sie, wie um Hilfe zum Verstehen zu erhalten, sagte deutlich Mama. Lila nahm beide Mädchen hoch, jede auf einen Arm, küsste meiner Kleinen die Tränen weg, redete mit ihr, beruhigte sie.

Ich war perplex. Dachte: ›Tina sagt schon klar und deutlich Mama, Imma macht das noch nicht, dabei ist sie fast einen Monat älter.



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